Memoiren einer Seele

Diese Frage sollte für mich im Prinzip sehr einfach zu beantworten sein, zumindest wenn ich an meine Philosophie denke, die ich schon immer zu diesem Thema hatte.

Wer ist schon „normal“? Sowas gibt es doch eigentlich nicht wirklich, oder? Aber, wenn das so ist, welche Bedeutung hat dieses Wort dann? So ganz sinnlos kann es doch nicht sein.

Der Kontext

Wie immer kommt es auf den Kontext an, um die Bedeutung, um das, was man damit tatsächlich ausdrücken möchte. Also eigentlich gar kein so einfaches Wort und damit vermutlich viel zu oft falsch eingesetzt. Also vielleicht doch gar keine so schlechte Idee, es aus dem Wortschatz zu streichen, denn nicht selten gibt es eine viel bessere Möglichkeit etwas zu beschreiben. Man könnte dieses Wort als eine Art Label sehen. Und wie jedes Label, kann es schnell zu Missverständnissen kommen, wenn man damit nicht vertraut ist bzw. wenn im vornhinein nicht geklärt wurde, was man denn nun genau mit „normal“ meint.

Ich war schon immer sehr an der Sprache an sich und insbesondere an einzelnen Wörtern interessiert und habe schon in jungen Jahren damit begonnen, diese einfach mal auseinanderzunehmen und darüber nachzudenken, woher ein Wort denn wohl kommt, warum es ausgerechnet genau dieses ist und was es wohl, unabhängig von meinem Wissen oder meiner Ahnung heraus, bedeuten könnte, wenn ich es mal genau analysiere und nicht einfach wie selbstverständlich benutze.

Das Label

Nun also, welche Bedeutung hat denn „normal“ eigentlich und in welchen Situationen und warum benutzt man dieses Wort? Wie jedes Label, versucht man damit eine größere Gruppe von Dingen oder Menschen zusammenzufassen oder zu kategorisieren, um dann eine, im Durchschnitt, allgemeingültige Aussage darüber machen zu können, vorausgesetzt, es wurde vorher klar definiert wen oder was man damit zusammenfassen möchte. Doch dieses ist nochmal eine ganze Spur allgemeiner, im Prinzip könnte man sogar sagen, es ist DAS Label überhaupt. Oder anders gesagt, wenn ich etwas als normal definiere, meine ich damit einen statistischen Durchschnitt für eine bestimmte Sache.

Und da kommt der Haken, wie kann ich einen durchschnittlichen Menschen oder eine durchschnittliche Persönlichkeit definieren? Spielen wir das doch mal durch. Was wird wohl auf die meisten Menschen zutreffen? Die meisten haben Körperbehaarung, können Sprechen und laufen. Das und noch viele andere allgemeingültige Eigenschaften würden also einen normalen, durchschnittlichen Menschen ausmachen. Na dann bin ich zumindest schonmal ein normaler Mensch, vorausgesetzt wir haben „den Menschen“ vorher nach diesen Kriterien definiert. An der Stelle gehe ich mal davon aus, dass die meisten mir zustimmen würden, was die Definition Mensch angeht.

Persönlichkeit

Komplizierter wird es beim Thema Persönlichkeit, worum es ja eigentlich geht, wenn ich mir die Frage stelle, ob ich normal bin. Ich gehe davon aus, dass die meisten von dessen Persönlichkeit sprechen, wenn sie darüber nachdenken, ob jemand normal ist. Doch hier merkt man bereits, dass das erstmal gar nicht so klar wäre, wenn dieser Beitrag nicht bereits „Identität“ im Titel hätte.

Und jetzt wird es wirklich spannend. Denn wie definiert man eigentlich Persönlichkeit? Ich bin mir sicher, dass es dazu mindestens eine oder vermutlich viele verschiedene Definitionen gibt, wenn es darum geht dieses Thema z.B. in der Psychologie wissenschaftlich anzugehen. Doch die wenigsten werden diese Definitionen so genau kennen. Obwohl ich mich sehr für Wissenschaft interessiere, weiß nicht mal ich, wie Persönlichkeit exakt definiert ist. Was also bleibt ist eine bewusst oder unbewusst persönlich hergeleitete Definition.

Und hier sind wir bereits an einem Punkt angekommen. Wenn ich für mich selbst Eigenschaften definiere, nach denen ich beurteilen möchte, ob ich eine durchschnittliche Persönlichkeit habe, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich eben nicht zufällig genau all die Eigenschaften berücksichtige, die zur allgemeingültigen Definition taugen. Und ohnehin gibt es aus wissenschaftlicher Sicht nicht die eine Durchschnittspersönlichkeit, sondern eher mehrere häufig vorkommende, unter denen es dann wahrscheinlich eine oder mehrere gibt, die besonders häufig vorkommen. Und auch das ist dann nur eine grobe Einteilung.

Die Definition

Nun aber mal Ende mit dem Wissenschaftsexkurs. Was ich damit sagen möchte ist, dass „normal“ eine reine Definitionssache ist und davon abhängt, welche Eigenschaften ich zu dessen Beurteilung heranziehe. Und damit kann jede*r gleichzeitig normal und unnormal sein. Auswertungen eines Durchschnitts sind etwas für die Wissenschaft und sollten auch dort bleiben, bei Menschen die etwas davon verstehen und denen bewusst ist, dass es sich dabei nur um ein zweckdienliches Werkzeug, zur Analyse eines klar abgegrenzten Bereiches dient und man daraus zwar statistische Schlüsse ziehen kann, aber kein komplexes Individuum beurteilen kann und sollte.

Im schlimmsten Fall führen solche Kategorisierungen nur dazu, dass man sich selbst durch Labels beschränkt. „Ich bin normal, deswegen kann ich dieses und jenes nicht, denn dafür muss man ja eine Begabung haben.“

Vielleicht gibt es den „Otto-Normal-Verbraucher“, doch dann nur, weil man sich selbst dazu degradiert hat und vielleicht macht das sogar einen Großteil unserer Gesellschaft aus. Doch Definitionen und Statistiken ändern sich mit der Zeit. Was gestern noch normal war, ist es heute wahrscheinlich schon nicht mehr. Und in der heutigen Zeit darüber noch einen Überblick zu haben, erscheint mir unmöglich.

Somit bleibt es letztlich einem selbst überlassen, was man für sich als normal definiert und ob man sich als normal sieht oder doch lieber zu den „Verrückten“ zählen möchte 😉

Ich zumindest bin gern anders, denn genau das macht Persönlichkeit aus.

Wie aus dem Bilderbuch

Doch was macht mich so anders? Nun, wenn ich zurückblicke, würde ich sogar sagen, dass ich relativ durchschnittlich bin oder zumindest war. Das dachte ich auch die meiste Zeit. Subjektiv betrachtet, kennt man ohnehin erstmal nur das eigene Leben, doch auch später, als ich das anderer Menschen kennenlernte, war ich noch der Meinung, im Großen und Ganzen, ein ziemlich normales Leben zu führen, fast schon wie aus dem Bilderbuch, zumindest meiner Vorstellung danach, was es bedeutet einen normalen Lebenslauf zu haben.

Mit 14 die erste Freundin und gleichzeitig erste Liebe seit der Grundschule. Gemeinsam, den ersten Kuss (zumindest für mich) und sogar die ersten sexuellen Erfahrungen gehabt. Wenn ich es so betrachte, wirklich ein Bilderbuchbeziehung, denn wir waren gleichzeitig die besten Freunde und hatten so unglaublich viel Spaß zusammen, ohne dabei unsere anderen Freundschaften aus den Augen zu verlieren. Nach einem Jahr (gefühlt ein halbes Jahrhundert) ging unsere Beziehung dann zu Ende. Doch nicht in Tränen, denn alles ging „ganz normal“ weiter und wir blieben auch weiterhin Freunde, hätte ich nicht irgendwann eine regelrechte Teenie-Arschlochphase gehabt, während der ich sie sehr verletzte. Nicht weil ich das so wollte, sondern weil ich es damals nicht besser wusste. Doch das ist ein anderes Thema, welches weitaus mehr Aufmerksamkeit verdient, als hier in einem Nebensatz.

Ganz normal

Ich hatte sowohl eine Außenseiterphase, als auch eine Phase in der ich mehr oder weniger beliebt war. Ich hatte wirklich gute Freunde, ja mein Zimmer war schon ein kleines Jugendzentrum, weil tagtäglich ein oder mehrere Freunde, mindestens zum chillen, da waren. Ich war oft verliebt und hatte einige wirklich besondere Liebesbeziehungen, die ich ewig in Erinnerung halten werde und über die ich ganze Bücher schreiben könnte. Ich habe mist gebaut, wieder gut gemacht, war traurig, glücklich, wütend und was das Leben sonst so alles bereit hält.

Natürlich war nicht alles schön, sogar ganz im Gegenteil. Dennoch hielt sich alles irgendwie die Waage, so dass man sagen könnte: ein ganz durchschnittliches Leben, nur eben auf meine individuelle Art und Weise, so wie jedes sehr unterschiedlich verläuft.

Das alles beschreibt meine Zeit des Erwachsenwerdens, also meiner Teenie-Zeit. Damals dachte ich nicht oft darüber nach ob ich anders bin. Dennoch gab es Phasen, in denen ich mir das doch dachte oder wünschte „jemand besonderes“ zu sein. Gleichzeitig war mir aber auch damals schon bewusst, dass jeder Mensch anders und auf seine Art besonders ist. Dennoch würden wahrscheinlich einige sagen, dass ich auf gewisse Art ein Sonderling, eben anders war.

Entwicklung

Und wenn ich mit meinem heutigen Wissen auf die Vergangenheit zurückblicke, fällt mir noch so einiges ein, was mich vielleicht etwas anders gemacht hat. Vielleicht gehörte ich schon immer in ein Persönlichkeitsprofil hinein, dass nicht dem Durchschnitt entspricht. Doch das zu beurteilen bin ich nicht wirklich in der Lage.

Im Laufe meines bisherigen Lebens kristallisierte sich allerdings mehr und mehr Persönlichkeit heraus, die mich zunehmend zu einem Individuum machte. Je mehr ich mich traute, ich selbst zu sein, desto weniger passte ich in ein normales, durchschnittliches Muster, das sich so einfach auf wen anderes übertragen lässt. Und genau da ist der Punkt. Irgendwann traf ich die Entscheidung, nicht mehr normal sein zu wollen, sondern meine Persönlichkeit nach außen zu tragen.

Also was kann ich letztlich sagen? So wie jeder Mensch, war ich schon immer ein Individuum, dass sich im Laufe des Erwachsen- und Älterwerdens weiterentwickelt und entfaltet. Und so ist meine Andersartigkeit erst mit der Zeit und durch meine eigene Persönlichkeit entstanden, sodass ich als Teenager wesentlich normaler war, als ich es heute bin.

Liebe grüße,
Eure unnormale Leonie ♥

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