Memoiren einer Seele

Mir wurde schon früh in der Kindheit beigebracht, dass „Notlügen“ okay und „manchmal nötig“ sind. Doch mir wurde nie wirklich beigebracht was überhaupt eine Notlüge ist und wo die Grenze zwischen einer normalen und einer angeblich notwendigen Lüge liegt.

Nun, wenn ich heute darüber nachdenke, dann würde ich als naives Kind denken, dass jede Lüge okay ist, wenn sie nur aus einer subjektiv empfundenen Not(wendigkeit) heraus entsteht. Und das öffnet ausnahmslos jeder Lüge Tür und Tor. Denn in welchen Situationen kommt es überhaupt dazu, dass man in Erwähnung zieht zu lügen? In den meisten Fällen wird man das tun, wenn die Wahrheit tendenziell irgendwelche negativen Konsequenzen oder Nachteile für einen selbst in sich birgt. Und sei es nur, weil eine kurze Lüge Dinge augenscheinlich vereinfachen kann. Je nach Auslegung könnte man also bei fast jeder Lüge von einer Notlüge sprechen. Die Not zu lügen, weil man keine Zeit für die Wahrheit hat. Die Not den Ehepartner anzulügen, nachdem man eine Affäre hatte, weil die Gefahr besteht, dass es zur Trennung kommt.

Arten von Lügen

Es liegt allein im Ermessen der lügenden Person, ob sie die Unwahrheit als Notlüge deklariert oder nicht. Oder anders gesagt, es gibt keinen objektiven Unterschied. Die einzige Lüge, die man als okay betrachten kann ist eine, die nicht aus purem Eigennutz, sondern aus offensichtlich positivem Anlass entsteht und bei der für keinem Menschen irgendwelche Nachteile entstehen, z.B. bei der Planung einer Überraschung für einen Geburtstag.

Und dann gibt es noch die Art von Lüge, die zum Schutz des Gegenübers oder eines Dritten entsteht, vorausgesetzt sie wird zeitnah aufgeklärt. Das könnte man am ehesten noch als eine Art Notlüge sehen, allerdings eben nicht aus der eigenen Not heraus. Doch wenn ich darüber nachdenke, merke ich schnell, dass es schwierig sein kann eine Situation so objektiv einzuschätzen, dass sich diese Art von Lüge rechtfertigen lässt. Es benötigt ein hohes Maß an Selbstreflektion, wenn man nicht Gefahr laufen möchte, unter dem Deckmantel des uneigennützigen Samariters, zu lügen.

Und zu guter Letzt gibt es da vielleicht noch die Art von Lüge, die man nur aus einem Konsens heraus als okay bewerten kann, ebenfalls mit zeitnaher Aufklärung, z.B. aus einem Scherz heraus, vorausgesetzt, das Gegenüber ist mit derlei Scherzen einverstanden.

Generalisiertes Lügen

Das war ein kurzer Exkurs über mein heutiges Verständnis über das Thema „Lügen“. Viel wichtiger ist aber die Tatsache, dass ich dieses Verständnis als Kind noch nicht von selbst haben konnte und dadurch, bis ins Erwachsenenleben hinein, einen problematischen Umgang mit Wahrheit und Lüge hatte. Viel schlimmer noch, hatte es sich im Laufe des Erwachsenwerdens so generalisiert, dass ich es selbst nicht mal mehr merkte, wenn ich die Wahrheit so verdrehte, dass sie im Grunde keine mehr war. Nicht selten glaubte ich meine eigenen Lügen, während ich mich selbst belügte.

Das mag jetzt insgesamt so wirken, als wäre ich in meiner Jugend ein notorischer Lügner gewesen, tatsächlich handelte es sich in den meisten Fällen um keine schwerwiegenden Lügen. Oft war es eine Aufhübschung oder Übertreibung der Wahrheit, z.B. um mich selbst oder Erlebnisse noch ein wenig größer oder besser darzustellen.

Während des Erwachsenwerdens fiel es mir oft schwer zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden, obwohl es mir intuitiv immer irgendwie bewusst war. Mein Gefühl konnte mir immer sagen was wahr und was falsch war, nur mein Verstand war verwirrt. Dadurch fiel es mir oft schwer Entscheidungen zu treffen, immer mit der Unsicherheit, welche die „Richtige“ ist. Nicht selten tat ich dadurch auch das Gegenteil von dem, was ich eigentlich wollte. Ich war außerdem sehr naiv, weil es einfacher war alles zu glauben, statt etwas zu hinterfragen. Und das ist der viel größere und gefühlt wichtigere Punkt: Viel zu oft verbreitete ich unbewusste Lügen, weil ich zu sehr darauf vertraute, dass ich die Wahrheit kannte, ohne diese jemals überprüft zu haben.

Hang zur Dramatik

Das alles klingt bis hierhin recht dramatisch, zumal die eigenen Fehltritte im Leben meist am schwersten wiegen. Und heute ist mir bewusst, dass ich schon immer einen Hang zur Dramatik hatte und den Dingen dadurch Nachdruck verleihte, in dem ich sie oft größer darstellte, als sie waren, vielleicht auch, weil ich sie in dem Moment als ebenso dramatisch empfand. Letztlich beschreibe ich hier die Empfindungen meiner Jugend und des Erwachsenwerdens. Wer kann schon sagen, dass seine Jugend nicht in irgendeiner Form dramatisch war, mindestens im Vergleich zwischen Pubertät und Erwachsenenleben.

Nun habe ich viel über meine Vergangenheit erzählt und zu Teilen geklärt, warum ich mir ebendiese Frage in der Vergangenheit gestellt habe, aber wir sind anscheinend noch kaum ein Stück in Richtung einer Antwort gerückt. Und doch trägt dieser Teil wesentlich dazu bei überhaupt eine Antwort finden zu können. Denn ich möchte diese Frage nicht philosophisch beantworten, sondern ich möchte sie für mich persönlich beantworten. Ebenso persönlich kann also auch nur die Antwort sein.

Wissenschaftlicher Exkurs

Was also ist für mich wahr und was nicht? Wie kann ich das sicher wissen, muss ich das immer wissen und ist es überhaupt möglich das immer zu erfahren? Liegt der Fehler nicht vielleicht sogar darin, dass ich ausnahmslos immer eine Entscheidung über Wahr oder Falsch getroffen habe, auch wenn ich es gar nicht sicher wissen konnte? Vielleicht konnte ich es nicht ertragen, dass es Fragen gibt, die sich nicht augenblicklich und möglicherweise sogar nie beantworten lassen, insbesondere bei der stetig präsenten Frage nach Wahr oder Falsch.

In der Wissenschaft sind die Dinge ganz klar, es werden Theorien aufgestellt und dessen Wahrheit wird durch Experimente „bewiesen“ oder falsifiziert, also als falsch verworfen. Eine Verifikation, also das genaue Gegenteil einer Falsifikation ist aber niemals möglich, da jede Theorie der Wahrheit immer nur näher kommt, bis sie verbessert oder durch eine neue ersetzt wird. Demnach gibt es keine eindeutige und sichere Wahrheit, selbst unser Gedächtnis und unsere subjektive Wahrnehmung kann uns ständig trügen. Es gibt wohl aber eindeutige Unwahrheiten.

Und was ich daraus also gelernt habe ist, dass Wahrheiten sich weiterentwickeln oder irgendwann verworfen werden können, ohne dadurch als Unwahrheit gelten zu müssen. Es war dann wahrscheinlich nur noch nicht die ganze Wahrheit. Es kann also so manches Mal besser sein nicht sofort über Wahr oder Falsch zu urteilen und vielleicht erstmal etwas kritischer zu bleiben, denn es besteht keine Garantie für die Wahrheit, es besteht aber immer die Möglichkeit, dass etwas unwahr ist.

Das bedeutet nicht, dass man nun jedem Menschen erstmal unterstellt zu Lügen, ob bewusst oder unbewusst, sondern es geht eher um einen neutralen Bezug dazu. Genauso geht es hier auch nicht viel um Vertrauen, ganz im Gegenteil, kann das hier sogar die größte Gefahr bieten auf Unwahrheiten zu stoßen. Denn absolut kein Mensch ist unfehlbar und das ist auch okay, solange einem genau das bewusst ist und man, so oft es nur geht, sich selbst und andere Menschen hinterfragt. Etwas zu hinterfragen bedeutet niemals eine böse Absicht oder Misstrauen, ganz im Gegenteil, schützt man sich selbst und andere so vor Fehlern und ermöglicht es überhaupt erst Unwahrheiten aufzudecken, für die vermutlich die wenigsten Menschen etwas können.

Was ist wahr und was nicht?

Was ist wahr und was nicht? Ich weiß es nicht sicher und das ist okay. Ich bewerte nur noch selten etwas danach und zergrüble mir vor allem nicht mehr den Kopf darüber, wenn es für mich persönlich nicht wichtig ist. Und wenn es um etwas Wichtiges geht, versuche ich mich darüber möglichst breit zu informieren und mich nicht auf ungeprüfte Aussagen zu verlassen. Ansonsten höre ich heute öfter auf meine Intuition, wenn es um persönliche und keine „kriegsentscheidenen“ Dinge geht. Ich versuche es dann aber zu vermeiden so etwas gedankenlos weiterzugeben, oder mit dem Hinweis, dass ich mir einer Sache nicht sicher bin. Und wenn es dann doch mal dazu kommt, dass ich versehentlich eine Unwahrheit weitergegeben habe, sei es weil ich doch mal etwas gedankenlos war oder weil ich tatsächlich selbst auf eine Unwahrheit hereingefallen bin, dann kläre ich das so schnell wie möglich auf und versuche es richtig zu stellen.

Und das ist für mich einer der wichtigsten Punkte, zu Fehlern zu stehen und sie richtig zu stellen, statt es aus Scham im Sande verlaufen zu lassen oder gar komplett zu ignorieren. Denn wenn so etwas nicht geschieht, verbreiten sich Unwahrheiten wie ein Lauffeuer und werden so manches Mal, sogar für die Allgemeinheit, zur Wahrheit, einfach nur, weil es niemals hinterfragt und von so vielen Menschen verbreitet wird, sodass sich oft nur wenige vorstellen können, dass es sich dabei doch um eine Unwahrheit handeln könnte… „Was alle sagen, muss ja richtig sein“.

Was ist wahr und was nicht? Einer Wahrheit bin ich mir jedenfalls sicher, dass das Leben und die Tatsache, dass es mich und andere Menschen gibt, ein krasses Wunder ist und es in unserer Welt ständig neue Wahrheiten zu entdecken gibt, die unser Leben noch ein Stück besser machen. Wir sollten unser Leben und unsere Zeit nicht mit Unwahrheiten verschwenden.

Und damit wünsche ich euch ein wahrhaftiges Leben,
Eure Leonie ♥

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