Memoiren einer Seele

Mittlerweile bin ich, ausnahmslos, in meinem gesamten Umfeld geoutet und seit dem 25.10.2021 gehe ich als Leonie ins Büro, nichts könnte mich glücklicher machen. Mein Outing war einfach so großartig, zumal ich, aus absolut jeder Richtung, nicht nur Akzeptanz und Verständnis erfahren habe, sondern auch Glückwünsche, Zuspruch und Unterstützung. Ich kann mich nun endlich, immer und überall, als Leonie bewegen ♥

Mein Outing habe ich größtenteils digital vollzogen. Die letzten Monate habe ich mich, indirekt und quasi in homöopathischen Dosen, über kommentarlose Bilder, in Messengern und sozialen Medien, geoutet. Ab dem 16.10.2021 bin ich dann ganz durchgestartet. Es ging also ein Text, inkl. Bildern von Leonie, an alle Freunde, Bekannte, Verwandte und Mitarbeiter. Ein Teil meines Outing-Textes bestand im Prinzip aus einer Erklärung, wieso Ich so bin wie ich bin. Tatsächlich schrieb ich den Text (bzw. genau genommen sprudelte er irgendwann einfach so aus mir heraus) ursprünglich für mich, um mich selbst zu reflektieren. Als ich den Text dann später las, dachte ich mir, dass er ideal für ein Outing wäre…

Nun werde ich bereits, seit einer Weile, in meinem Freundeskreis als Leonie wahrgenommen und seitdem das für die meisten und vor allem wichtigsten Personen in meinem Leben so ist, hat sich meine Selbstwahrnehmung sehr stark verändert und das macht mich unglaublich glücklich. Besonders die Tatsache, dass sich die meisten für mich freuen und mich so annehmen, wie ich bin. Es fühlt sich so an, als hätte ich das erste Mal in meinem Leben ein richtiges Ich-Gefühl.

Mein Vergangenheits-Ich fühlt sich dagegen konstruiert an. Und das war auch, zu nicht unwesentlichen Teilen, so. In meiner Jugend hatte ich mich einfach an anderen Jungs orientiert, um bloß nicht anzuecken und hab mir zu viel Verhalten angeeignet, welches niemals meiner Natur entsprach, also dem was ich lieber getan hätte oder wie ich lieber gewesen wäre. Ich passte mich mein ganzes Leben immer nur an und darin wurde ich ein Profi. Ich war echt gut darin, einen Mann zu imitieren und mich dann auch so zu fühlen, ein Gefühl, das mich aber sehr unglücklich machte und ein Verhalten, das kein bisschen mit dem zu tun hatte, wie ich wirklich bin, wie ich immer war, wenn ich für mich allein war. Unter Menschen konnte ich nie so sein, nicht mal, wenn ich wollte, weil da eine riesige Blockade war, die ich fast nie schaffte zu durchbrechen, wodurch ich leider irgendwann immer ruhiger und verschlossener wurde. In der Gesellschaft anderer Menschen, erst recht unter neuen Menschen, kannte ich meine Rolle einfach nicht. Ich meine damit nicht meine Geschlechterrolle oder meine Rolle in einer Gruppenkonstellation, sondern meine Rolle im Leben, ganz allgemein, weil es da kein einheitliches “Ich” gab, außer Zuhause, wenn ich für mich allein war und selbst da zuletzt nur noch selten, wenn ich mich mal nicht mit Konsum und Medien ablenkte.

Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr Anzeichen aus meiner Vergangenheit fallen mir auf, so Viele, deren Bedeutung mir aber früher einfach nicht bewusst war. Ich umgab mich schon immer lieber mit Mädels und ich war teilweise einfach so neidisch auf sie, auf das, was sie, aus meiner damaligen Sicht, machen durften und wie sie sein durften. Ich empfand sie schon immer als das schönere Geschlecht, aber weniger aufgrund meiner Sexualität, sondern einfach, weil ich sie ganz allgemein toller fand und sie für mich viel mehr Vorbild waren als irgendeine männliche Person. Doch ich komme nun mal noch aus einer Zeit, in der man in vielen Dingen noch nicht so aufgeklärt war wie heute. Ich hätte nie gedacht, dass ich überhaupt jemals die Chance haben würde, auch so sein zu dürfen und so sein zu können, also blieb ich “realistisch” und tat einfach weiter, was ich am besten konnte, mich anpassen.

Mir war 30 Jahre lang nicht bewusst, dass ein Großteil meiner Probleme im Leben, mit meinem zugewiesen Geschlecht zu tun haben könnten. Ich hatte nicht mal eine Idee. Doch alles was in den letzten Jahren, Monaten und Wochen passiert ist, beweist es einfach.

Mittlerweile werde ich sogar jeden Tag darin bestätigt, dass ich den richtigen Weg gehe. Jeder weitere Schritt in Richtung Leonie, in die Richtung meiner ganz eigenen Persönlichkeit, die ich mir nirgends abgeschaut habe, die ganz und gar aus mir selbst herauskommt, macht mich nur noch glücklicher. Jeder Moment, den ich durch Leonie wahrnehme, ist viel bewusster als jemals zuvor. Das war das letzte Mal in der Kindheit so, in der ich noch so sein konnte, wie ich eben war oder sein wollte.

Als Leonie habe ich es geschafft eine riesige, gefühlt undurchdringliche, innere Blockade zu durchbrechen. Als Leonie habe ich das Gefühl einfach alles machen zu können und zu dürfen. Als Frau “darf” ich endlich all die Dinge tun, die ich mir mein bisheriges Leben lang ersehnte. Natürlich hat mir nie jemand direkt verboten so zu sein, wie ich sein will, aber als Dennis war es mir irgendwie unmöglich, es hat sich einfach falsch angefühlt, wogegen sich als Leonie einfach alles richtig anfühlt, worauf ich Lust habe, woran ich Spaß habe, was mich glücklich macht.

Seitdem ich mich tagtäglich und immer stärker mit Leonie identifiziere, nehme ich jeden Tag sooo viel bewusster wahr und ich freue mich das erste Mal wieder auf jeden neuen Tag und bin abends traurig, dass der Tag schon wieder vorbei ist und kann den nächsten Tag kaum erwarten, so wie es in meiner Kindheit mal war. Es gibt für mich so unfassbar viel Neues zu entdecken, mal unabhängig von der insgesamt spannenden Welt da draußen, habe ich so unglaublich viel nachzuholen und ich möchte einfach so viele Dinge ausprobieren, die meinem alten Ich verwehrt geblieben sind.

Nach drei Jahren Selbstfindung, bin ich nun an einem Punkt, an dem ich mir eine komplette Transition absolut vorstellen kann und mir sicher bin, dass es der richtige Weg ist. Weil es mich rundum glücklich macht als Frau wahrgenommen zu werden, weil ich mich als Frau fühle, weil ich mir, stetig mehr, einen weiblicheren Körper ersehne, weil ich mein Inneres, endlich, in jederlei Hinsicht, nach Außen kehren möchte, weil ich genau so gesehen werden möchte, wie ich bin und vor allen Dingen, weil ich in den Spiegel schauen möchte und MICH sehen will.

Liebe Grüße,
Leonie ♥

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